Ein Regenbogen-Logo reicht nicht mehr: Wie Marken jetzt echte Verbündete der queeren Community werden
von Lisa Sibbing
Immer mehr Menschen aus der LGBTQIA+-Community in Europa zeigen heute offen, wer sie sind. Gleichzeitig nehmen Gewalt, Belästigung und Mobbing gegen sie zu. Eine Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte zeigt, dass der Anteil von queeren Menschen, die Opfer von Hassgewalt wurden, zwischen 2019 und 2023 von 11 % auf 14 % gestiegen ist. In einigen Ländern kommt die gesellschaftliche Akzeptanz queerer Menschen ins Stocken oder geht sogar zurück. So glauben beispielsweise 26 % der Deutschen nicht, dass Schwule, Lesben und Bisexuelle die gleichen Rechte haben sollten wie Heterosexuelle – eine alarmierende Zahl, die im Vergleich zu früheren Jahren gestiegen ist.
Ich schreibe diesen Artikel aus unserem Büro in Kreuzberg, einem Berliner Kiez, der als Hotspot für queere Reisende gilt. Doch während die Stadt oft als Symbol der Vielfalt gefeiert wird, gewinnen rechtsextreme Bewegungen in Europa zunehmend an Einfluss und verbreiten anti-LGBTQIA+-Rhetorik. In Deutschland stellt sich die AfD offen gegen die Rechte queerer Menschen, was die gesellschaftliche Debatte beeinflusst. Angesichts dieser Entwicklung ist es umso wichtiger, dass öffentliche Stimmen ihre Unterstützung sichtbar machen – sei es aus der Politik, der Zivilgesellschaft oder der Wirtschaft, die den öffentlichen Diskurs mitgestaltet. Marken haben seit jeher Einfluss auf gesellschaftliche Normen. Dieser Artikel zeigt, wie Unternehmen ihre Stimme als Verbündete der queeren Community nutzen können.
Marken als Verbündete: Ein Blick auf die Geschichte der Sichtbarkeit queerer Menschen
Queere Menschen gab es schon immer, doch ihre Präsenz in der Werbung spiegelt erst seit wenigen Jahrzehnten eine langsam wachsende gesellschaftliche Akzeptanz wider. Lange Zeit ignorierten Marken die LGBTQIA+-Community oder reduzierten sie auf stereotype Darstellungen. Erst als sich die rechtliche und gesellschaftliche Lage verbesserte, begannen Unternehmen, queere Menschen verstärkt zu zeigen.
Pioniere wie Budweiser und Absolut Vodka unterstützten die Community bereits in den späten 1970er-Jahren, doch während der AIDS-Krise in den 1980ern zogen sich viele Unternehmen aus Angst vor Kontroversen zurück. 1994 setzte IKEA ein Zeichen, indem sie als eine der ersten großen Marken ein schwules Paar in einem US-Werbespot zeigten – trotz Bombendrohungen als Reaktion auf die Kampagne. Ab den 2000er-Jahren wurde die Unterstützung während des Pride Month sichtbarer und selbstbewusster.
Der Rechtsruck: Wie reagieren Marken?
In den letzten Jahren hat sich die politische Landschaft stark nach rechts verschoben. Konservative Medien und Politiker:innen attackieren Trans-Personen, und in mehreren Ländern wurden Gesetze verabschiedet, die LGBTQIA+-Rechte einschränken – nicht nur in den USA, sondern auch in Polen und Ungarn. Die Geschichte zeigt: Wenn die gesellschaftliche Akzeptanz queerer Menschen sinkt, schwindet oft auch ihre Repräsentation in der Werbung.
2023 zogen große Unternehmen wie Target und Bud Light ihre Pride-Kampagnen nach massiven Gegenreaktionen zurück. Doch während Marken ihre Haltung kurzfristig anpassen können, ist die queere Community tagtäglich Anfeindungen ausgesetzt. Wer als Unternehmen wirklich etwas verändern will, muss auch in schwierigen Zeiten zu seinen Werten stehen.
Wie Marken echte Verbündete sein können
Ein Unternehmen als LGBTQIA+-Ally zu positionieren, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Es braucht mehr als Regenbogen-Logos im Juni – echte Unterstützung zeigt sich durch langfristiges Engagement. Doch was können Marken konkret tun?
1. Glaubwürdigkeit durch eigenes Handeln
Bevor eine Marke sich öffentlich positioniert, sollte sie sich fragen: Spiegelt unser Unternehmen tatsächlich die Werte wider, die wir nach außen tragen?
- Ist unser Arbeitsplatz sicher für queere Mitarbeitende?
- Gibt es inklusive Einstellungspraktiken?
- Sind LGBTQIA+-Personen in Führungspositionen vertreten?
- Arbeiten wir mit Unternehmen oder Investoren zusammen, die LGBTQIA+-Rechte unterstützen?
Ein Regenbogen-Logo reicht nicht – echtes Engagement zeigt sich durch konkrete Maßnahmen.
2. Queere Stimmen in Marketingentscheidungen einbinden
Marken, die queere Menschen authentisch repräsentieren wollen, sollten sie von Anfang an in den kreativen Prozess einbeziehen. Queere Organisationen und Berater:innen können helfen, die richtigen Botschaften zu finden und Fehler zu vermeiden.
3. Vielfalt abbilden, ohne Klischees zu bedienen
Die LGBTQIA+-Community ist divers. Wer Inklusivität ernst nimmt, zeigt mehr als nur schwule, weiße Männer. Auch queere Menschen mit Behinderung, BIPoC, Trans-Personen und ältere Generationen sollten sichtbar sein. Das Buch "We Can Do Better Than This" ist eine großartige Quelle, um die verschiedenen Schattierungen innerhalb der LGBTQIA+-Gemeinschaft kennenzulernen.
Es ist nicht nur wichtig, wen Marken repräsentieren, sondern auch wie sie es tun. Sie sollten keine Bilder verwenden, die überholte Stereotypen aufrechterhalten, wie z. B. schwule Männer in weiblicher oder queere Frauen in männlicher Form. Eine 2019 durchgeführte GLAAD-Studie zeigt: Medien und Werbung prägen das Selbstbild junger queerer Menschen. Eine realistische, vielschichtige Repräsentation hilft ihnen, sich selbst zu akzeptieren.
Das Marketing muss auch nicht immer hervorheben, dass LGBTQIA+ Menschen von vornherein queer sind. Schauen wir mal in die Filmindustrie: Vor etwa 15 Jahren wurden in Filmen oft LGBTQIA+-Figuren mit Depressionen oder schwierigen Lebensumständen gezeigt. Dies verstärkte das Klischee, dass das Leben von queeren Menschen abnormal und an sich problematisch ist. Genauso wie in modernen Filmen LGBTQIA+-Figuren zu sehen sind, bei denen das Queersein nicht im Mittelpunkt der Geschichte steht, können Marken sie als glückliche Menschen darstellen, die einfach zufällig queer sind. Durch die Wahl einer inklusiven und durchdachten Darstellung können Marken dazu beitragen, Vorurteile abzubauen und Akzeptanz zu fördern.
4. Konkrete Unterstützung leisten
Echte Verbündete gehen über Werbekampagnen hinaus:
- Spenden an LGBTQIA+-Organisationen
- Zusammenarbeit mit queeren Kreativen
- Entwicklung von Produkten und Services, die queeren Menschen konkret helfen
„LGBTQIA+-Konsument:innen suchen nicht nur nach Produkten und kreativer Werbung, sondern wollen ihr Geld für Marken ausgeben, die ihnen zur Seite stehen und einen positiven Beitrag zu ihrer Gemeinschaft leisten“, sagt Stacie de Armas, Senior Vice President of Diversity Insights and Initiatives bei Nielsen.
Ein gutes Beispiel ist Mastercard: Mit der "True Name"-Karte ermöglicht das Unternehmen Trans- und nicht-binären Personen, ihren gewählten Namen auf Karten zu verwenden, ohne eine offizielle Namensänderung durchlaufen zu müssen. Ein kleiner, aber entscheidender Schritt für mehr Würde und Sicherheit.
5. Haltung zeigen – auch in schwierigen Zeiten
Wenn Kampagnen aufgrund negativer Publicity zurückgezogen werden, zeigt das vor allem eines: Die Priorität liegt eher auf Reputation und Gewinn als auf Gleichheit und Gerechtigkeit. Wer eine klare Haltung einnimmt, muss mit Gegenwind rechnen – doch gerade das macht Glaubwürdigkeit aus.
Bud Light bekam 2023 zu spüren, welche Konsequenzen eine polarisierende Debatte haben kann. Eine kurze Partnerschaft mit dem Transgender-Influencer Dylan Mulvaney führte zu Boykotten, vor allem von konservativen und rechtsextremen Gruppen in den USA. Innerhalb eines Monats sank der Absatz um bis zu 26 %, und Bud Light verlor im Mai 2023 seinen langjährigen Status als meistverkauftes Bier der USA. Die Reaktion? 2024 wurde der Pride Month in den sozialen Medien kein einziges Mal erwähnt – stattdessen rückte die Partnerschaft mit der Ultimate Fighting Championship in den Fokus.
Nike hingegen wurde für eine Kampagne mit demselben Influencer kritisiert, hielt jedoch an seinen Werten fest – eine Entscheidung, die Authentizität und Verlässlichkeit ausstrahlte. Die Kontroverse ebbte schnell ab, doch wie so oft verschwanden mit dem Pride Month auch die Regenbogenlogos vieler Unternehmen, ohne eine langfristige Haltung zu hinterlassen. Wer Kund:innen mit ähnlichen Werten wirklich binden will, sollte sich fragen, wie die Marke die Community das ganze Jahr über sichtbar unterstützen kann.
Entscheidungen die Marken treffen, prägen unsere Zukunft
Diese fünf Hebel setzen ambitionierte Maßstäbe für echtes Allyship mit der LGBTQIA+ Community. Doch Marken haben eine enorme gesellschaftliche Verantwortung. Die Entscheidungen, die sie heute treffen, prägen die Zukunft ganzer Generationen. Indem Unternehmen Haltung zeigen, echte Inklusivität leben und sich aktiv für die queere Community einsetzen, tragen sie dazu bei, eine gerechtere und offenere Gesellschaft für alle zu gestalten.
Wir freuen uns über Projektanfragen
Jasmin Seitel,
Business Partnerin Marke
