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Artikel
10. Okt. 2024

Wie Organisationen strukturelle Ungleichheiten durch systemisches und datengestütztes Diversity Management durchbrechen

von Katrin von Kotze und Eleonora Kurbanov
Systemische Ungleichheiten durchbrechen

Von der Symptombehandlung zur Lösung

Trotz des wachsenden Interesses von Unternehmen an Diversity Management (DEI) stehen viele noch am Anfang. Laut einer Umfrage der Haufe Akademie haben nur 2 % der Befragten ein voll ausgereiftes Diversity Management in ihrem Unternehmen implementiert. Gleichzeitig beschränken sich die Bemühungen noch zu häufig auf die Behandlung von Symptomen. Auch wenn diese Maßnahmen positive Auswirkungen haben können, so setzen sie doch meist nur an den sichtbaren Folgen von Ungleichheit an und nicht an den zugrunde liegenden Ursachen. Systeme und Strukturen, die Diskriminierung begünstigen, bleiben unangetastet.

Durch eine systemische Denkweise der Wurzel nähern

Oft sind sichtbare Effekte, wie eine geringe Beförderungsquote bei unterrepräsentierten Gruppen wie zum Beispiel weiblichen Mitarbeitenden, das Ergebnis komplexer, unsichtbarer Ursachen wie struktureller Benachteiligungen. Zum Beispiel, Strukturen, die es insbesondere Personen mit Fürsorgepflichten in Teilzeit erschweren sich weiterzuentwickeln. Der Einsatz von Systems Thinking kann hier helfen. Anstatt nur Einzelteile eines Systems zu bearbeiten, werden die Beziehungen und Muster zwischen den verschiedenen Komponenten betrachtet. Was vielleicht abstrakt klingt, wird klarer, sobald man handfeste Daten zur Hilfe nimmt, um Zusammenhänge deutlich zu machen.

Abstrakte Themen durch Daten anfassbar machen

Um die Ursachen besser verstehen und gezielt angehen zu können, ist es wichtig, nicht nur auf subjektive Wahrnehmungen zu setzen, sondern objektive Daten und Kennzahlen zu nutzen. Genau hier setzt das DEI Management an, das auf Daten basiert, die den Unternehmen oft bereits vorliegen, z.B. durch die erweiterten Nachhaltigkeitsberichtspflichten. Doch das Erheben von Kennzahlen allein reicht nicht aus.
Um die Muster im System zu erkennen, die Ungerechtigkeiten fördern, müssen die Kennzahlen kontextualisiert werden. Nur weil z.B. der Frauenanteil in einem Unternehmen hoch ist, bedeutet dies nicht automatisch, dass es eine gleichberechtigte Arbeitskultur oder gute Aufstiegschance für sie gibt.
Die systematische Analyse von Diversitätsmerkmalen in Verbindung mit Gehaltsstrukturen oder Mitarbeitendenzufriedenheit lässt Indikatoren für Ungerechtigkeiten innerhalb des Systems gezielt erkennen.

Systemische Lösungsfindung in drei Phasen

Eine datenbasierte Status Quo Analyse ist die ideale Ausgangsbasis für eine tiefergehende Ursachenforschung. Dafür ist es aber notwendig auch die richtigen Fragen zu stellen, um an das grundlegende Problem zu kommen.

1. WHAT: Den Status Quo beschreiben

Zunächst müssen die Indikatoren immer weiter spezifiziert werden, um die Ausgangslage und alle relevanten Faktoren so konkret wie möglich zu beschreiben. Ziel ist es, zu definieren, wo genau die potenzielle Ungerechtigkeit liegt und herauszufinden, wer davon betroffen ist.

  • Wie korrelieren verschiedene Diversitätsmerkmale mit der Beförderungsrate?
  • Wie oft werden FLINTA (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen) im Vergleich zu Männern befördert?
  • Wie oft werden Menschen mit Fürsorgepflichten im Vergleich zu Menschen mit Fürsorgepflichten befördert?
  • Wie oft werden Menschen in Teilzeit im Vergleich zu in Vollzeit arbeitenden Personen befördert?

Watch Out: Argumentationsbasis schaffen
Substanzielle Lösungen sind häufig mit Aufwand und Investitionen verbunden. Je aussagekräftiger die Daten aus der ersten Phase sind, desto besser ist die Argumentationsbasis. Zusätzlich kann man die eigenen Messungen mit Benchmarks oder Branchenstandards vergleichen, um den Handlungsbedarf zu verdeutlichen.

2. SO WHAT: Das Problem definieren

Nachdem der Status Quo detailliert beschrieben wurde, konzentriert sich die nächste Phase darauf, das zugrundeliegende Problem und dessen Umfang zu analysieren sowie die Ursachen zu ermitteln.

  • Warum haben Menschen mit Fürsorgepflichten in Teilzeit schlechtere Chancen auf eine Beförderung?
  • Welche realen Hindernisse gibt es im Unternehmen (Bsp. Umfang der Rolle nur in Vollzeit realisierbar)?
  • Welche subjektiven Vorurteile in der Organisation tragen zu dem Problem bei (Bsp. Menschen mit Fürsorgepflichten sind nicht belastbar genug)?
  • Was passiert, wenn sich nichts an der Situation ändert?
  • Wie wurde bisher mit dem Problem umgegangen?

Watch Out: Problemverschiebung vermeiden
Viele Unternehmen tendieren zu reiner Symptombehandlung, da das oft die „Quick Fixes“ sind, die kurzfristig weniger Zeit und Ressourcen kosten (Bsp. eine einmalige Aktion). Das zugrunde liegende Problem wird dabei nicht gelöst. Deshalb ist eine klare und datenbasierte Definition des Problems besonders wichtig, bevor es in die Lösungsfindung geht. Um die komplexen Aspekte und Zusammenhänge des Problems nachvollziehbar darzustellen, können Visualisierungstools wie System Mapping helfen. Diese Diagramme zeigen kausale Zusammenhänge und helfen dabei, Hebel zur Einflussnahme auf das System zu identifizieren.

3. NOW WHAT: Lösungen entwickeln

Das Problem kann viele Ebenen umfassen und entsprechend vielfältige Lösungsansätze erfordern, um es nachhaltig zu beheben. Das Eisbergmodell kann helfen, zu veranschaulichen, wie die verschiedenen Ebenen zusammenhängen und welche Art von Interventionen erforderlich sind. Je tiefer man kommt, desto größer ist die Hebelwirkung der Lösung. In der letzten Phase geht es darum, die Fragen so präzise zu formulieren, dass sie als Basis für Lösungsansätze dienen können.

  • Wie können wir Mütter und andere Menschen mit Fürsorgepflicht aktiv ermutigen und darauf vorbereiten eine Beförderung anzustreben (Bsp. Mentoring Programme)?
  • Wie können wir die Rolle für Menschen mit Fürsorgepflicht strukturell zugänglicher gestalten (Bsp. Job Sharing)?
  • Wie können wir Vorurteile in der Organisation gegenüber Menschen mit Fürsorgepflicht abbauen (Bsp. verpflichtende Bias Trainings)?
  • Wer wäre von der Lösung direkt und indirekt betroffen?
  • Welche positiven und negativen Effekte wird die Lösung kurz-, mittel- und langfristig haben?

Watch Out: Nicht nur Neues hinzufügen
Viele Menschen glauben, dass zur Erneuerung eines Systems immer neue Prozesse, Richtlinien oder Rollen hinzugefügt werden müssen. Dabei kann auch die Abschaffung oder Verbesserung bestehender Elemente, also eine System-Entschlackung, erhebliche Hebelkraft haben. Beispielweise kann eine lange und nicht realitätsnahe Anforderungsliste für die Beförderung in eine Führungsrolle viele Kandidat:innen zu früh ausschließen. Eine Verschlankung dieser Liste fügt dem System nichts Neues hinzu, kann es aber gerechter machen.

Wer echte Veränderungen will, braucht Ausdauer und Entschlossenheit

Maßnahmen wirken oft erst nach einer gewissen Zeit. Wirkungsverzögerungen sind ein zentrales Merkmal komplexer Systeme. Gerade im Diversity Management, wo tief verwurzelte Denkmuster und Organisationsstrukturen verändert werden müssen, sind Geduld und Vertrauen in den Prozess entscheidend. Kurzfristige Rückschläge sollten als Teil eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses eingeplant und ausgehalten werden. Denn gerade bei Nachhaltigkeitszielen, zu denen auch Diversity-Ziele gehören, ist in vielen Unternehmen eine gefährliche Dynamik zu beobachten: Ziele werden kontinuierlich nach unten korrigiert, um dem aktuellen Leistungsniveau zu entsprechen (Beispiel: Die angestrebten Diversity-Quoten in der Führungsebene werden nicht erreicht. Statt nach den Ursachen zu suchen, werden sie um einige Prozentpunkte herabgesetzt und der Status Quo als Erfolg verbucht). Dadurch entsteht eine Abwärtsspirale, in der Standards immer weiter sinken, bis hin zur Stagnation. Um ungerechte Systeme zu verändern, braucht es also nicht nur die richtigen KPIs und Tools, sondern vor allem Menschen, die entschlossen bei der Sache bleiben.

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