Inklusion durch Design – Wie Inklusives Design gelingt
von Birgit MaierInklusives Design hilft Unternehmen ihren KundInnenkreis zu erweitern, Innovationen anzukurbeln und barrierefreie Produkte hervorzubringen. Klingt super, aber wie funktioniert das?
„Worauf ich mich richtig freue? Auf den Tag, an dem Siri, Alex[a] und Co mehr als nur eine Sprechart verstehen können. Das wird mein Paradies.“ Die Autorin und Bloggerin Tanja Kollodzieyski lebt mit einer motorischen Behinderung. Sie erfährt im Alltag immer wieder Momente der Ausgrenzung.
Inklusives Design will solche Barrieren bei der Entstehung von Produkten und Dienstleistungen mitdenken und beheben. Und das ist nicht nur für Menschen mit Behinderung ein wichtiger Ansatz. Mal ehrlich: Wir haben wahrscheinlich alle schon erlebt, dass Sprachsysteme uns nicht verstehen. Automatisierten Kundenhotlines können uns mit dem Satz „Tut mir leid, ich habe Sie nicht verstanden.“, rasend machen. Manchmal liegt es an uns – wenn wir undeutlich, leise oder mit starkem Dialekt sprechen. Manchmal an Hintergrundgeräuschen oder der Verbindung.
Inklusives Design hat zum Ziel, allen NutzerInnen in allen Nutzungssituationen ein gleich gutes Nutzungerlebnis zu ermöglichen. Damit das gelingen kann, müssen einige Grundregeln beachtet werden.
Inklusives Design = Barrierefreie Produkte?
Barrierefreiheit und Inklusion werden im Alltag oft synonym verwendet, sind aber nicht das Gleiche. Inklusives Design gewährleistet ein vergleichbares Nutzungserlebnis von Produkten und Services für alle Menschen. Und zwar unabhängig von individuellen Voraussetzungen und Nutzungssituationen.
Barrierefreiheit hingegen ermöglicht den ungehinderten Zugang zu Dienstleistungen und zur Nutzung von Produkten. Sie ist demnach ein wichtiger Baustein von inklusiven Designprozessen. Im Idealfall greifen sie ineinander. Ein digitaler Service ist inklusiv, wenn ich zum Beispiel bei einer Registrierung nicht in binäre Schubladen (männlich/weiblich) gepresst werde. Barrierefrei ist der Service, wenn ich verschiedene Ein- und Ausgabemittel (Sprache, Tastatur) für die Nutzung des Services verwenden kann.
Wanted: diverse Teams
Inklusives Design hat viele Vorteile für uns alle. Warum ist es dann bisher noch nicht die Regel, bei Produktentwicklungen inklusiv zu arbeiten?
Weil es dafür eine Änderung der generellen Herangehens- und Arbeitsweise in Unternehmen braucht. Inklusion und Barrierefreiheit lassen sich nachträglich nur sehr schwer auf fertige Produkte anwenden. Inklusive Ansätze und Anforderungen müssen bereits in der Entstehungs- und Planungsphase von Produkten und Dienstleistungen berücksichtigt werden.
Doch wie gelingt das Mitdenken von Inklusion bei Design- und Entwicklungsprozessen? Viele Unternehmen bieten ihren MitarberInnen Diversity Schulungen an. Diese können helfen, das Bewusstsein für Exklusion zu schärfen und dazu beitragen, inklusives Denken zu trainieren. Sie sind jedoch nicht die alleinige Lösung für ein so komplexes und tiefgreifendes Thema.
Exklusion geschieht oft unterbewusst und unabsichtlich. Um inklusive Lösungen in Designprozessen möglichst allumfänglich mitzudenken, braucht es Diversität in allen Bereichen des Produktentwicklungsprozesses. Produkt-Teams müssen divers besetzt werden. Bei der Rekrutierung von ProbandInnen für Produkttests und auch in den Reihen der EntscheiderInnen im Unternehmen ist eine größere Diversität notwendig. Inklusives Design kann nur erfolgreich sein, wenn Inklusion von Anfang an ernst genommen und in allen Prozessstufen mitgedacht wird.
Inklusives Design geht uns alle an
Im Inklusiven Design wird in Nutzungssituationen statt in Nutzungstypen gedacht. Bei der Entwicklung wird nicht gefragt, was das Produkt für einen bestimmten NutzerInnenkreis leisten kann, sondern welche Aufgabe es in einer bestimmten Situation erfüllen muss.
Inklusives Design dient nicht nur der Einbindung einzelner, in irgendeiner Form permanent eingeschränkter Personengruppen. Wir alle können durch temporäre oder situative Einschränkungen – seien sie kurz- oder mittelfristig – davon profitieren. Stell dir vor, du betreust ein schlafendes Kind und willst nebenher ein Video oder einen Film schauen, du hast aber keine Kopfhörer in Reichweite: Zum Glück gibt es Untertitel.
Entwicklungsteams haben die Aufgabe, mittels Inklusiven Designs proaktiv nach exkludierenden Situationen zu suchen und ihre Produkte auf etwaige Schwachstellen zu durchleuchten. Dafür müssen außergewöhnliche Einsatzszenarien und damit einhergehende Produktanforderungen erforscht und mitgedacht werden.
Inklusion muss als das angesehen werden, was es ist: Keine freiwillige Zusatzleistung, sondern eine Notwendigkeit.
Inklusion befeuert Innovation – Innovation schafft Wettbewerbsvorteile
Unsere Gesellschaft ist komplex und divers. Diese Realität muss sich auch im Design von Produkten und Dienstleistungen widerspiegeln. Viele Unternehmen stehen damit vor einer großen Aufgabe mit entsprechendem Zeit- und Kraftaufwand. Auf der anderen Seite sind die Vorteile Inklusiven Designs nicht zu unterschätzen. Das entscheidende Stichwort lautet: Innovation.
Die Innovationskraft eines Unternehmens kann durch diverse Teams mit Fokus auf inklusiv gestaltete Designs massiv gesteigert werden. Daraus resultieren barrierefreie Produkte und Services, die noch ein Differenzierungspotenzial bieten. Und noch mehr: Die innovativen Lösungen und Produkte erweitern automatisch den KundInnenkreis eines Unternehmens.
Die Rufe nach Diversität und Inklusion in allen Bereichen des Lebens werden immer lauter. Inklusives Design geht uns alle an und hilft uns allen. Doch es braucht von Seiten der Unternehmen ein klares Bekenntnis und eine unumstößliche Zielsetzung, um Inklusives Design zum Standard zu machen. Denn: Diversität ist ein Fakt, Inklusion eine Entscheidung.